Servicewüste Deutschland

Heute erreichte mich folgende Nachricht, mit der Empfehlung, sie hier zu veröffentlichen:

„Servicewüste Deutschland?“

Ich persönlich bin ja kein Fan solcher Plattitüden, obwohl man relativ kognitionsressourcenschonend mit jenen flugs einen ganzen Abend gesprächstechnisch füllen kann, ohne sich allzu groß anzustrengen.

Nichtsdestotrotz erwischte ich mich heute dabei, dass ich eben über genau jene (s.o.) leise in mich hinein und laut aus mir heraus schimpfte.

Denn es begab sich wie folgt (zwar war das heute nur ein Tag, jedoch  – glaube ich meinen Bekannten und Freunden – ist dieser durchaus typisch in Deutschland):

Ich möchte meinen Handy-Vertrag kündigen und meine alte Rufnummer zu meinem neuen Anbieter mitnehmen. Das Service-Portal im Internet meines bisherigen Anbieters empfand ich als unübersichtlich, die entsprechenden Formulare fand ich gleich gar nicht, so dass ich mich flugs – eben vor 1980 geboren – dazu entschloss, den analogen Weg dem  digitalen vorzuziehen und  den T-Mobile-Shop in meiner Nähe aufzusuchen.

Die freundlichen Damen am Empfang hörten sich mein Anliegen genau bis zum Begriff „…kündigen…“ an, um dann wie folgt einzuhaken: „Kündigungen nehmen wir nicht an, die gehen nur schriftlich. Aber vielleicht möchten Sie vor einem Anbieter-Wechsel einmal unsere Angebote anschauen?“ Nein, möchte ich nicht. Auch die entsprechenden Formulare zur Verzichtserklärung und Rufnummernportierung (ach so, so heißt das!) hatten die beiden Angestellten nicht verfügbar. Die sind nämlich bei der Telekom in Bonn anzufordern. Aha.

Nun gut, als alter Recke, der ich bin, lasse ich mir da nicht so schnell den Schneid abkaufen. Nun war ich hier also nicht erfolgreich, aber auf meiner to-do-Liste für den heutigen Tag gibt es ja noch andere Punkte, die erfolgreich abgearbeitet werden sollen.

Ich möchte nicht nur ein Paket in der Postfiliale abholen, oh nein, ich wollte auch noch Geld abheben und – oh Schreck! – eine Abbuchung von meinem Postbank-Konto reklamieren. Nun, der Reihe nach:

Ein übliches Bild in der Postfiliale am Ostbahnhof um die Mittagszeit: ca. 25 brave Kundenschafe reihen sich bis kurz hinter die Eingangstüre. Bewaffnet mit Ausweis und Benachrichtigungskarte, damit es dann am Schalter schneller geht. AM Schalter. Genau: EIN Schalter ist geöffnet

Dieses Mal gehe ich beschwingt – schließlich darf ich mich heute in die „fast lane“ des Postbank-Schalters einreihen. Nun gut, „fast“ (englisch für „schnell“)  ist offenbar ein dehnbarer Begriff. Dieser Schalter ist nämlich gleich gar nicht besetzt. Vier Kunden warten vor mir, nach zehn Minuten erscheint der Schalter-Beamte, nach weiteren zehn Minuten bin ich an der Reihe. Auch hier kann ich nur das Intro meines Anliegens hervorbringen, bevor ich darauf hingewiesen werde, dass es hinter mir einen Service-Schalter gäbe. Interessanter Einwurf, denke ich mir, nun zurück zu meinem Anliegen. Der Herr beharrt auf der Existenz des Service-Schalters, was mich zu irritieren beginnt. Ich trete einen Schritt zurück und lese laut, was hinter ihm an der Wand geschrieben steht: „Alle Serviceleistungen der Postbank.“ Das kann ich doch nicht so falsch verstehen. Er verweist auf die Warteschlange hinter mir (wohlgemerkt, ich stehe gerade 45 Sek. am Schalter, habe aber vorher bereits 20 Minuten gewartet). „Alle Serviceleistungen“, darauf einigen wir zwei uns in Anbetracht der verrinnenden Zeit, bedeutet heute „das Päckchen abholen und Geld abheben.“
An dem mir für meine Reklamation zugewiesenen Serviceschalter verschwindet der junge Mann kurz bevor ich an der Reihe bin. Und taucht auch innert zehn Minuten nicht wieder auf. Ich bin inzwischen wirklich wütend. Und brülle durch die Filiale: „Können Sie bitte den Service-Schalter besetzen?“ (Der Widerspruch in sich hört sich erst richtig gut an, wenn man ihn laut ausspricht.)  Die Kundenschafherde  dreht sich zu mir um und glotzt mich blöde an. Fehlt noch, dass sie das Wiederkauen anfangen. Hinter irgendeinem Schalter tönt es: „Der ist besetzt!“  Aha, ich sollte zum Augenarzt.

Ich klopfe nun an einem von drei besetzten Glas-Beratungs-Containern und trage mein Anliegen der Bitte um Besetzung des Service-Schalters einem Mann vor. Das sei nun nicht seine Aufgabe, der Kollege werde gleich kommen.

Jener Glas-Kasten-Beratungs-Herr trägt Sekunden später, immer noch wartend, seinen Kaffeepadmaschinen-Wassertank leer vorbei und wenig später voll zurück. Soviel Zeit muss sein.

Nach weiteren Minuten erscheint der junge Herr vom Service-Schalter wieder, nimmt sich zwar wenig kompetent („Da weiß ich jetzt auch nicht!“), aber durchaus ansatzbemüht meines Anliegens an. (Es wird ein Jahresentgelt für die händische Prüfung einer Abbuchung erhoben, die seit 2 ½ Jahren nicht mehr existiert.) Er ruft die Hotline an, die mein Konto nicht auf Anhieb findet. Ich wiederhole die Kontonummer, die er in den Hörer wiederholt. Aha, Sesam, respektive Konto, öffnet sich.

Als der fragliche Entgeltposten identifiziert ist, frage ich nach, ob ich das richtig sehe, dass die Postbank Gebühr für eine Leistung erhebt, die sie nicht mehr erbringt. „Ja, aber das müssen sie extra kündigen.“ (Ich liebe das Wörtchen „aber“: mit nur vier Buchstaben kann man alles vorher Gesagte wunderbar pulverisieren.) Auf meinen Hinweis, dass ich dies bereits per online-Banking versucht habe, aber keine Antwort bekommen habe, zuckt er zwar nett, aber hilflos mit den Schultern. Inzwischen tut er mir ein bisschen leid. Er kann ja auch nichts für die Prozesse und Verantwortlichkeiten, die jemand aus dem Management am Reißbrett entwirft und beschließt,  Auszubildende oder Jungangestellten als Kanonenfutter an vorderster Kundenfront zu verschießen.

Er tut wohl auch einer Kollegin leid, die – woher auch immer – ihm zur Seite springt und fragt, ob sie mir helfen kann. Nein, danke, wir haben uns da Seite an Seite bereits durchgekämpft. (Meine Vermutung  nach ihrer Herkunft nach einem Blick an die Decke – Kameras – ist, dass es so etwas wie eine Service-Kontroll-Instanz gibt, die bei besonders schwierigen Kunden proaktiv aktiv wird. Warum eigentlich nicht die Leute aus der –vermuteten – Service-Kontroll-Instanz an einem weiteren Schalter, welchem auch immer, Bedarf ist genug, einsetzen und diese damit unnötig machen?)

Das habe ich heute gelernt:
a)      Ich mag offensichtlich keine Wiederkäuer.
b)      Als Kunde bin ich heute nur angenehm, wenn ich Geld bringe. Bei Serviceanfragen bin ich ein bisschen lästig. Um dem auch räumlich Ausdruck zu verleihen, werden Serviceanfragen am liebsten gar nicht mehr in der Filiale bearbeitet. Der „König Kunde“ soll hier selber aktiv werden und sich um Erfüllung seiner Anliegen selber bemühen. Damit ihm dies auch wirklich nicht gelingt, werden ihm möglichst viele Steine in den Weg gelegt.
c)       In einer Wüste weiß ich wenigstens, dass ich nicht viel Infrastruktur erwarten kann. So pessimistisch bin ich offensichtlich noch nicht, sonst würde ich mich nicht so ärgern. „Servicelabyrinth Deutschland“ passt besser. Wegbeschreibung vorhanden, aber hinter jedem Eck lauert eine neue Wand.
d)      Ich brauche eine Brille.

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