Okt 16

Laubbläser

Ein sicheres Anzeichen für den beginnenden Herbst ist, wenn diese fürchterlichen Laubbläser in Scharen um die Häuser ziehen und stundenlang brrrr, brrrr, brrrr einen Höllenlärm machen. Das Gerät ist funktionell ziemlicher Murks. Die Anwender selbiger Geräte sind mit großer Wahrscheinlichkeit der Profi-Hausmeister-Fraktion zuzuordnen oder sind selber Haus- oder Gartenbesitzer. Ursache des Wahnsinns ist wieder einmal – wie so oft – die Natur. Die hat festgelegt, dass im Herbst die Blätter der Laubbäume nicht mehr gebraucht werden und einfach abzuwerfen sind. Ex und Hopp quasi -das Prinzip kennen wir Menschen ja aus verschiedenen Kontexten. In einer Mischung aus Pflichterfüllung, Gruppenzwang und Ordnungsliebe bemühen sich Menschen – in dem Falle überwiegend die Hausmeister – darum, die Spuren, also das Laub verschwinden zu lassen. Früher war das Handarbeit und wurde zum Teil auch recht gründlich betrieben. Die welken Blätter wurden zusammengerecht (Anmerkung: Rechen oder Laubbesen sind die Geräte, mit denen man ohne Geräusch und emissionsarm Blätter bewegen kann) und dann entweder zum Komposthaufen transportiert oder in großen Säcken abtransportiert. Vor der Aufrüstung in der Vorstadtsiedlung war das eine ganz normale Sache. Irgendwann muss dann wohl einer der Gartengerätehersteller auf die sinnige Idee gekommen sein, für verspielte Hobbygärtner und gestresste Hausmeister ein neues Spielzeug zu entwickeln. Verblüffend ist der Erfolg insofern, da die Geräte – vom Spaßfaktor für die Anwender mal abgesehen – nahezu wirkungslos sind und nur die Umwelt terrorisieren. Fast täglich kann ich das nun beobachten: Mit viel Lärm wirbeln die Laubhelden das Blattwerk auf und versuchen mit dem Luftstrahl dem ganzen eine Richtung zu verleihen. Ein lächerliches Schauspiel. Wege und Rasenflächen sind dann irgendwie zwar laubfrei, aber diese befinden sich nun sonstwo – im Idealfall beim Nachbarn. Der Nachbar hat technisch nachgezogen und ist nun auch in der Lage, das bunte Zeug vor sich herzutreiben – was er auch mit einer beneidenswerten Eloquenz betreibt.
So nervig dieses Schauspiel auch ist, ich überlege mir, ob man dieses Phänomen als Zeitgeist bezeichenen könnte. Manifestiert sich so die Oberflächlichkeit und Technisierung des kleinen Mannes? Aus der Politik kennen wir das, Schein ist wichtiger als Sein. Sympthome werden behandelt statt Probleme gründlich zu lösen. Was weiterhin auffällt ist, dass wir Menschen glauben, die meisten Probleme irgendwie durch Technik lösen zu können. Energiekrise? Klimawandel? Kein Problem, das CO2 kann man doch in der Erde speichern. Wäre es nicht einfacher, Energie zu sparen? Das Gesundheitssystem kollabiert, obwohl ein Mehr an Bewegung Wunder bewirken würde. Deutschland fehlen die Kinder für die Zukunft und die UNO empfiehlt mehr Einwanderung. Hallo? Wie wäre es mit einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, in der weniger das Geld, sondern mehr die Kinder im Mittelpunkt stehen?
Ja, es ist der Geist der Zeit. Die Menschheit wird Sklave der Beschleunigung. Das fängt bei den Laubbläsern an und hört bei Gesundheits- und Familienpolitik auf.

Okt 22

Die Beschleunigungsillusion

Wir haben uns an die Krise gewöhnt. Was früher als Hiobsbotschaft galt, ist heute eine Randnotiz. Die Größenordnungen haben sich verschoben. Heute geht es um Milliarden, um Rettungsaktionen und um Schadensbegrenzung. Nach Jahren des ungebremsten Wachstums erleben wir nun eine Vollbremsung. Was sicher für viele Leute als sehr schmerzhaft empfunden wird, wird sich langfristig als gesunde Korrektur herausstellen.
Rückblickend stellt man fest, dass bestimmte Bereiche der Gesellschaft sich unterschiedlich schnell entwickeln– sowohl im Auf- als auch im Abschwung. Die Obergrenze für Beschleunigung ist durch die Geschwindigkeit des Transfers und der Verarbeitung von Waren, Geld und Informationen limitiert. Informationen können elektronisch übertragen werden – theoretisch mit Lichtgeschwindigkeit. Die Verarbeitung wird durch immer leistungsfähigere Prozessoren übernommen. Ähnlich schnell können monetäre Werte elektronisch verschoben und verarbeitet werden. Interessant ist nun, dass es in beiden Bereichen in jüngster Vergangenheit zu einer Krise kam. Im Jahre 2000 barst die Internetblase und 2008 wurde die Finanz- und Wirtschaftskrise durch den Bankrott von Lehman Brothers ausgelöst. Auffällig ist, dass in beiden Fällen die ‚abgekoppelten‘ Anwender die Krise auslösten. Es wird klar, dass die Aufnahme- und Verarbeitungskapazität des Menschen auch ein nicht zu unterschätzender Begrenzungsfaktor ist. Der Mensch kann nun einmal nur eine begrenzte Menge von Informationen und Fakten verarbeiten, insofern kann man von einer Beschleunigungsillusion sprechen. Ebenso ist die Menge an zu erwirtschaftenden Finanzmitteln limitiert und der Konsum von Produkten hat irgendwo auch eine Grenze. Letztlich ist die reale Welt der wichtigste Indikator und trotz virtueller Beschleunigung der Finanz- und Informationsmärkte kann ein Mensch jeweils immer nur ein Auto fahren, ein Buch lesen und in einen Fernseher schauen. Um mithalten zu können, müsste der beschleunigte Konsument vielmehr einkaufen und vielmehr und viel öfter die Produkte umschlagen, also viel kaufen und viel wegwerfen. Die Abwrackprämie beweist doch, dass photo posted on post-gazette.comdie Wirtschaft zu hoch getaktet ist und nur mit Staatshilfe aufrecht gehalten werden kann. Mehr Gelassenheit würde allen gut tun und obwohl ich mein iPhone inzwischen ganz gerne mag, bewundere ich die Amish in ihrer Lebensweise. Wie man hört, spüren die Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft nichts von der aktuellen Krise.