Das Silicon Valley
… ist ja total angesagt im Moment. Alle großen Unternehmen, die den Geist der Innovation wieder spüren wollen, pilgern in das Tal südlich von San Francisco. Teils belustigt, teils neugierig beobachte ich das Treiben. Ob der Besuch etwas bringt? Man kann nur ahnen, dass danach sehr, sehr vorsichtig etwas an der Strategie geändert wird (kein Risiko!). Vielleicht wird auch ein neues Innovationsprojekt gestartet, Höhepunkt ist in jedem Fall der Verzicht auf die Krawatte oder das Duzen im Unternehmen.
Dabei wäre tatsächlich viel zu lernen und inzwischen gibt es auch ein Buch über das Phänomen. Erst versuchte ich es zu ignorieren da ich selber seit 2005 jedes Jahr bestimmt zweimal dort gewesen bin. Irgendwann siegte dann die Neugier und ich kaufte es mir – vielleicht ist es ja doch nicht so schlecht und man könnte da sogar noch etwas lernen. Kaum hatte ich das Buch aufgeschlagen, packte es mich: Ticket gekauft, Koffer gepackt, Hotel & Auto gebucht und ab nach Kalifornien. Im Flugzeug lass ich dann das Buch.
Ich gebe es zu, es ist wie eine Sucht, immer wieder zieht es mich hierher. Inspiration, Neugierde und das gute Gefühl, die Veränderung mitzubekommen. Inzwischen kenne ich ja auch einige Leute und kann sie besuchen und gemeinsam essen gehen geht in Palo Alto immer. Ein Muss ist der Besuch der Universität Stanford und da insbesondere etwas Zeit einplanen für den sensationellen Buchladen. Gewöhnlich gehe ich da mit wenigstens drei Büchern raus (diesmal auch drei).
Falls man sie findet (nicht einfach) sollte man auch die D-school besuchen und mal in die Labore schauen. Selbst ohne Termine kann man locker mehrere Stunden auf dem Campus verbringen. Auf dem Rückweg nach Palo Alto gehts über den El Camino Real auf die University Ave (bei Lust auf shoppen unbedingt das Palo Alto Shopping Center besuchen). Palo Alto selber ist eine Stadt, wie ich sie liebe: unaufgeregt, lebendig und sehr relaxed. Wenn man einen Tisch im University Café bekommt – möglichst im Freien – dann kann man das beobachten und genießen. Hat man Pech (oder Glück), dann werden am Nachbartisch gerade Millionen-Deals abgeschlossen.
Das Buch
Wie ist nun das Buch? Gar nicht mal so schlecht, besonders der erste Teil.
Ich war jedenfalls positiv überrascht. Liest man nicht allzu langsam, schafft man das Buch schon auf dem Hinflug und ist gut vorbereitet auf das Silicon Valley.
Ich stimme dem Autor in der Begeisterung zu: Spaziert man die University Ave vom Starbucks über den El Camino bis Stanford spürt man irgendwie das flirren. Die Mischung aus Understatement, Kreativität, Genialität und Geschäftssinn ist wohl einmalig. Und das ist das gute an dem Buch – zumindest beim ersten Teil. Es wird sehr gut das Prinzip des SV beschrieben. Die Beispiele und Dialoge sind gut gewählt und zeigen wohl recht gut, was funktioniert und was nicht. Das ist richtig gut! Die Rolle von Stanford ist sehr interessant und da kann man wirklich viel lernen.
Tja, der zweite Teil (ab S. 163) ist ziemlich schwach, insbesondere 2 Punkte:
1. Wenn im ersten Teil ziemlich sehr gut gezeigt wird, was gut funktioniert (mit dem Ziel, erfolgreiche, innovative, (jetzt kommts!) nachhaltige Firmen zu gründen), warum wird dann im zweiten Teil Google als eines der wohl erfolgreichsten Geburten des SV so kritisiert? Damit geht die Story verloren. Entweder man will innovativ sein oder nicht. Das ist wie mit der Schwangerschaft. Man hat das Gefühl, hier geht es um Springer-Google Animositäten (obwohl vorher zu recht von temporären Monopolen gesprochen wird – S.200). Das ist schade.
2. Der zweite Teil wirkt recht unreif und unüberlegt. Es wäre sicher gut gewesen, die Eindrücke erst noch einmal zu durchdenken und dann Implikationen und Erkenntnisse zu formulieren. Keese schwingt sich hier zur pauschalen Gesellschaftskritik auf: Politik, Bildung (MOOC ersetzen niemals Präsenzunterricht!) und Wissenschaft. Und zwischendrin sind oft so etwas wie Szenarien: Möbelkauf (S.182) und das Navi manipuliert den Autokauf, Milchproduktion in Abhängigkeit von der Milch im Kühlschrank (S. 238, absurd!), Kommunikation („Stefan…“, S.253) usw. Da werden weiterhin gewagte Hypothesen konstruiert: z.B. Schumpeters These (schöpferische Zerstörung) stimmt dann nicht mehr. R. Kurzweil wird auch noch irgendwie eingeflochten. Da muss man schon ziemlich tapfer sein beim lesen – zu pauschal, zu zusammenhanglos und wenig überzeugend.
So gut der erste Teil des Buches ist, im zweiten Teil hätte im mir mehr Tiefgang und Sorgfalt gewünscht.
Statt dieser allgemeinen Kritik und Wunschlisten, die rasch zu Worthülsen verkommen („Gleichzeitig muss die Politik die Voraussetzungen für eine lebendige Gründer-Kultur schaffen.“ S.292 – Buzzword Gründer-Kultur), wären konkretere Hinweise für Unternehmen hilfreicher gewesen.
Das Buch möchte aufrütteln, und so kann man es dennoch jedem der sich für Veränderung und Innovationsimpulse interessiert und vom Silicon Valley lernen möchte, empfehlen: Buch lesen (ersten Teil), SV besuchen und auf dem Rückweg sehr genau überlegen, was man daraus lernen kann, was das für das Unternehmen bedeutet.
M.E. ist es auch nicht sinnvoll, nun das Silicon Valley II einfach zu kopieren und hier in Deutschland aufzubauen zu wollen. Besser wäre: Lernen und einen eigenen Weg gehen – das ist sinnvoller und innovativer.
Wenn man noch Zeit hat, sollte man natürlich unbedingt an die Küste fahren (Honey Moon Bay) und dann die No1 nach Norden fahren. Man kommt direkt an der Golden Gate raus.
Es ist immer wieder spannend. Ich hoffe, die Wirkung hält noch eine Weile an. Ich überlege gerade, was wohl besser ist: einmal für ein halbes Jahr oder über zehn Jahre regelmäßig die Ideenschmiede zu besuchen. Jedenfalls kenne ich das Silicon Valley inzwischen sehr gut – sicher besser als Hr. Keese und berate inzwischen auch Unternehmen für einen guten Zugang zum Silicon Valley.
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