Okt 22

Die Beschleunigungsillusion

Wir haben uns an die Krise gewöhnt. Was früher als Hiobsbotschaft galt, ist heute eine Randnotiz. Die Größenordnungen haben sich verschoben. Heute geht es um Milliarden, um Rettungsaktionen und um Schadensbegrenzung. Nach Jahren des ungebremsten Wachstums erleben wir nun eine Vollbremsung. Was sicher für viele Leute als sehr schmerzhaft empfunden wird, wird sich langfristig als gesunde Korrektur herausstellen.
Rückblickend stellt man fest, dass bestimmte Bereiche der Gesellschaft sich unterschiedlich schnell entwickeln– sowohl im Auf- als auch im Abschwung. Die Obergrenze für Beschleunigung ist durch die Geschwindigkeit des Transfers und der Verarbeitung von Waren, Geld und Informationen limitiert. Informationen können elektronisch übertragen werden – theoretisch mit Lichtgeschwindigkeit. Die Verarbeitung wird durch immer leistungsfähigere Prozessoren übernommen. Ähnlich schnell können monetäre Werte elektronisch verschoben und verarbeitet werden. Interessant ist nun, dass es in beiden Bereichen in jüngster Vergangenheit zu einer Krise kam. Im Jahre 2000 barst die Internetblase und 2008 wurde die Finanz- und Wirtschaftskrise durch den Bankrott von Lehman Brothers ausgelöst. Auffällig ist, dass in beiden Fällen die ‚abgekoppelten‘ Anwender die Krise auslösten. Es wird klar, dass die Aufnahme- und Verarbeitungskapazität des Menschen auch ein nicht zu unterschätzender Begrenzungsfaktor ist. Der Mensch kann nun einmal nur eine begrenzte Menge von Informationen und Fakten verarbeiten, insofern kann man von einer Beschleunigungsillusion sprechen. Ebenso ist die Menge an zu erwirtschaftenden Finanzmitteln limitiert und der Konsum von Produkten hat irgendwo auch eine Grenze. Letztlich ist die reale Welt der wichtigste Indikator und trotz virtueller Beschleunigung der Finanz- und Informationsmärkte kann ein Mensch jeweils immer nur ein Auto fahren, ein Buch lesen und in einen Fernseher schauen. Um mithalten zu können, müsste der beschleunigte Konsument vielmehr einkaufen und vielmehr und viel öfter die Produkte umschlagen, also viel kaufen und viel wegwerfen. Die Abwrackprämie beweist doch, dass photo posted on post-gazette.comdie Wirtschaft zu hoch getaktet ist und nur mit Staatshilfe aufrecht gehalten werden kann. Mehr Gelassenheit würde allen gut tun und obwohl ich mein iPhone inzwischen ganz gerne mag, bewundere ich die Amish in ihrer Lebensweise. Wie man hört, spüren die Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft nichts von der aktuellen Krise.

Mai 29

Kinder an die Macht

Im Moment werden ja viele Kindertagesstätten und Kindergärten bestreikt. Dass in Deutschland gestreikt wird, ist zwar nichts Ungewöhnliches aber gewiss auch nicht alltäglich. Milchbauern streiken für höhere Milchpreise, vergessen dabei aber, dass sie selber mit verantwortlich sind, dass es bei sinkender Nachfrage immer mehr Milch gibt und diese immer abenteuerlicher hergestellt wird. Heutige Milch aus dem Supermarkt wird in der Herstellung derart behandelt, dass sie kaum noch als Milch zu bezeichnen ist. Früher konnte man Milch, falls sie schon sauer war in Schälchen füllen und dann einige Zeit später als Dickmilch genießen. Probiert man das heute, bekommt man eine ungenießbare Suppe und man wundert sich, ob das wohl ursprünglich wirklich mal Milch war. Mit den Bauern muss man also kein Mitleid haben. Sie haben die Herstellung immer weiter optimiert und effizienter gestaltet mit dem Ergebnis, dass sie heute billiger und mehr herstellen, aber das gesunde Image der Milch leidet und die Leute lieber was anderes trinken.
Dass Erzieherinnen streiken indes ist neu und irgendwie für viele auch überraschend. Kinder zählen in Deutschland nicht als systemrelevant – sind quasi unbedeutend.
In einer Krise wird deutlich, was einer Gesellschaft wichtig ist. Da die Regierung für die Rettung von Banken mehrere Milliarden spendiert, für die Erziehung unserer Kinder jedoch kaum bereit ist, mehr Geld in die Hand zu nehmen, kann man konstatieren, Banken sind wichtiger als der Nachwuchs. Oder anders ausgedrückt, die Zukunft Deutschland wird gerade verzockt. Der Nachwuchs jedoch bedeutet unsere Zukunft!
Warum gibt es keine Millionen-Boni für Kindergärtner und Kindergärtnerinnen und welchen Beitrag leistet ein Banker für die Zukunft von Deutschland? Ich glaube, es braucht sich niemand wundern, wenn Deutschland altert. Wir tuen alles für den Wohlstand und vergessen dabei die Zukunft. Solange die Renten in Deutschland staatlich gesicher sind, Kinder aber privates Risiko bedeuten, sollte sich niemand wundern, dass wir langsam aussterben. Statistiker gehen davon aus, dass in ein paar Jahren die Anzahl der Neueinschulungen um bis zu 25% zurück geht. 25% weniger Kinder in der Schule bedeuten mindestens 25% weniger Studenten und Fachkräfte und hoffentlich dann auch irgendwann 25% weniger Bankkunden. Ironie des Schicksals wäre es, wenn die Rendite der Deutschen Bank dann auch um 25% zurückgeht.