Die Digitalisierung hat sicher viele gute Sachen bewirkt. Man kann schneller einen Flug in die USA buchen als die Steuererklärung ausfüllen. Informationen (Wissen) sind extrem leicht zugänglich und ich bin froh darüber. Eigentlich war ich sogar immer ein großer Fan – des technischen Fortschritts sowieso – und auch der Digitalisierung. Es ergeben sich neue, unendliche Möglichkeiten (Outfittery !)und man bedient sich einfach – so dachte ich bisher. Man muss ja nicht bei Twitter (bin ich nicht) oder SnapChat (bin ich nicht) oder was auch immer mitmachen (wer hat schon so viel Zeit?). Ganz so einfach ist es jedoch inzwischen nicht mehr. Die Digitalisierung hinterlässt Spuren, tiefe Spuren. Es gilt: ‚Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen die Werkzeuge uns‘ (M. McLuhan: das Medium ist die Message). Vielen Dingen kann man sich inzwischen nicht mehr entziehen und der unreflektierte Umgang und das blinde Hinterherlaufen hinter dem allerletzten Digitalisierungsding ist keineswegs innovativ, es ist bloß naiv. Keine noch so euphorische gefeierte Neuerung bringt nur Segen, es gibt IMMER auch Kehrseiten: Liebesbriefe z.B. zeigen das ganze Dilemma. Irgendwie geht – dank der Digitalisierung – ein Kulturgut unter. Wer schreibt noch Liebesbriefe? Heute bleibt man lieber unverbindlich: eine WhatsApp – oder Facebook-Nachricht mit Smiley tut es doch. Bevor man gedanklich oder emotional zu sehr einsteigt, klickt man einfach ‚Gefällt mir‘. Dieses lauwarme Oberflächennetzwerken ist widerlich. Das Ego steht im Zentrum, der Rest wird digitalisiert. Ist das der Traum? Lassen sich Gefühle digitalisieren? Oder verkrüppeln die einfach nur in dieser heilen Emojicon-Gefühls-Welt?
Ich lese gerade zwei Bücher, die ich sehr empfehlen kann:
1. Shaun Usher: More Letters of Note: Briefe für die Ewigkeit
122 Briefe – einzigartige Einzelstücke, undenkbar in einer flüchtigen Welt von Bits und Bytes. Einen Brief zu schreiben erfordert Aufwand, Leidenschaft, Wille. Formulierungen sind ewig. Das Gegenteil einer Facebook-Chronik, die durchläuft. Die Briefwechsel prominenter Menschen waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt und gewähren somit Einblicke in Schreibstil und Gefühle, die einem sonst verwehrt sind.
Immer weniger Menschen vermögen es, zusammenhängende, fehlerfreie und lesbare Sätze mit der Hand zu schreiben. Mit dem Buch gibt es wenigstens wieder ein Vorbild.
2. Susan Greenfield: Mind Change.
Was macht das Internet mit dem Gehirn? Es ist wohl nicht unbedingt in allen Facetten vorteilhaft. Die Konzentration lässt nach, man giert nach Belobigung im sozialen Netzwerk (Dopamin!), die Netzwerke bzw. die Algorithmen im Hintergrund sorgen dafür, dass man nur noch das sieht, was man vermeintlich sehen möchte. Man wird eingelullt und unreflektiert. Die Tiefgründigkeit geht verloren (siehe auch Carr: The Shallows). Selbst große Digitalisierungsfans sollten das mal lesen. Es hilft für das Verständnis.
Lesen und verstehen! Jeder Mensch möchte besonders sein (ist er im Prinzip ja auch) aber dieser Klick-Und-Zwitscher-Einheitsbrei macht doch alles gewöhnlich. Wo bleibt das Besondere? Das Leben ist doch zu kurz für diesen ganzen oberflächlichen Digital-Mist.
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Einen echten Liebesbrief zu bekommen, ist wohl das Schönste was passieren kann. Da bin ich absolut bei Ihnen, besonders wenn man Gefühle hegt oder etwas unsicher ist.
Es müsste mehr Mutige geben, die welche schreiben. Was könnte man machen?
Hi,
gute Frage. Ein Anfang wäre vielleicht mehr Kreativität und weniger online. Und wegen dem Liebesbrief: am besten selber schreiben. Oder warten bis einer kommt 😉
Hallo Ulf,tut mir echt leid für dich.Du trauerst dem alten handgeschriebenen Liebesbrief nach?Verlieb dich einfach und schreib dann !Oder-noch besser-Werde geliebt und empfange einen echten Liebesbrief!Habe gerade einen bekommen und schreibe auch regelmäßig.Fehlerfrei handschriftlich auf echtes handgeschöpftes Büttenpapier mit Tinte !Das selbstverständlichste,wenn man verliebt ist.Da hat sich trotz Digitalisierung nichts geändert. Also ich kann überhaupt nicht feststellen,das der Liebesbrief ausgestorben ist.Meine Liebesbriefe sind nur nicht für die Öffentlichkeit gedacht!Und die Liebesbriefe Anderer auch nicht!
Hi Schwester, meine Trauer wegen dem Liebesbrief war zunächst ja mal ganz allgemein, als gesellschaftliches Phänomen, angelegt. Und in dem Zusammenhang entsprang die These, dass sich auch die Gefühlswelten verflachen bzw. der Digitalisierung unterwerfen. Wie das bei mir persönlich aussieht, ist ja noch einmal was anderes. Ich finde es jedoch in der Tat beneidenswert, dass der Liebesbrief sich bei dir noch bester Gesundheit und Vitalität erfreut. Bei mir sind die Bedingungen für das Gedeihen von Liebesbriefen – warum auch immer – weniger optimal. Verlieben und schreiben ist aber ein guter Hinweis, danke dafür 😉
Hast du gewusst, dass sich François Mitterrand mit seiner Geliebten mehr als 1200 Briefe schrieb? Irre, oder, wenig Zeit scheint kein Argument zu sein? Ich kann dir das Buch gerne mal borgen.
Sei lieb gegrüßt, Ulf
Schreib mir doch mal ein Liebesbrief, Normalpapier reicht völlig.
Adresse hast du noch?
Lg Caro